WER? Die Mathematik-Studenten Tim Jäggi und Sandro Bortot verfassten ihre Masterarbeit an der Pädagogischen Hochschule Bern zu zweit.
THEMA? Auf das Thema „Grundlegende Vorstellungen zum Zahlenraum“ kamen die Schweizer durch Zufall, als sie die Klausurarbeiten von Schülerinnen und Schülern einer Realschule korrigierten. Fehler wiederholten sich hier regelmäßig, wenn Kommazahlen ihrer Größe nach geordnet werden sollten. Im Rahmen ihrer Masterarbeit entwickelten Jäggi und Bortot nun entsprechendes Lehr- und Übungsmaterial, das in Kleingruppen getestet wurde.
MEHRWERT? Die ersten Versuche zeigten tatsächlich positive Wirkung: Nach Anwendung des Lehrmaterials in sechs Unterrichtsstunden waren die Schülerinnen und Schüler in der Lage, Aufgaben korrekt zu lösen. Ohne den gegenseitigen Austausch wäre es wohl schon zur Themenfindung nicht gekommen. Mittlerweile verwenden Jäggi und Bortot das Material auch im eigenen Unterricht.
WARUM? Inga-Lena Boos und Ricarda Milstein von der Hertie School of Governance in Berlin konnten ihre gemeinsame Abschlussarbeit mit einem Stipendium finanzieren, das speziell für eine Gruppenarbeit ausgeschrieben worden war.
THEMA? Beide freuten sich nicht nur über das Geld für notwendige Recherchereisen, sondern auch über die Tatsache, dass sie die Bearbeitung des umfangreichen Themas „Krankenhausfinanzierung“ zu zweit bewältigen konnten.
AUFGABENVERTEILUNG? Boos organisierte Termine für Interviews, Milstein motivierte stets zum Schreibprozess. Gerade in der Abschlussphase ihrer Masterarbeit verbrachten die Studentinnen viel Zeit in der Bibliothek: Die einzelnen Textpassagen wurden gegengelesen, Korrekturvorschläge besprochen und stilistische Verbesserungen gemacht. Die gegenseitige Unterstützung und Absicherung empfanden beide als besonders wertvoll.
WER? Ihre Masterarbeit „Hilfe, ich bin Helfer“ zu beruflichen Risiken in der Sozialen Arbeit verfassten die Studierenden der Fachhochschule St. Pölten Simone Hinterecker, Frederic Moes und Ingrid Müller zu dritt und haben dafür sogar den Wissenschaftspreis der Niederösterreichischen Arbeiterkammer erhalten.
ZIEL? Die Gruppenarbeit untersucht aus mehreren Perspektiven den fiktiven, aber praxisnahen Fall des Leiters einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung, dessen beruflicher Alltag dokumentiert wird.
MEHRWERT? Entstanden ist ein Beitrag, der gerade zukünftigen Sozialarbeiterinnen und -arbeitern als Leitfaden zur Selbstbefragung dienen kann. Eine solche mehrschichtige Behandlung des Themas konnte wahrscheinlich nur im Team erfolgen.
Eine Nachfrage der Journalistin Friederike Lübke bei den Universitäten Augsburg, Heidelberg, Köln, Leipzig, Münster, Tübingen sowie der TU Dresden ergab, dass das Verfassen von Masterarbeit oder Bachelorarbeit als Gruppenarbeit möglich, aber relativ selten ist.
In der Regel wird die Einzelleistung und nicht die gesamte Arbeit benotet.
Die von den einzelnen Autorinnen und Autoren geschriebene Kapitel oder Teile der Arbeit müssen deutlich voneinander abgegrenzt und namentlich gekennzeichnet werden.
Wird eine Teamarbeit als Abschlussarbeit in Erwägung gezogen, sollte die entsprechende Klausel in der Prüfungsordnung der jeweiligen Hochschule noch im Vorhinein unbedingt überprüft werden.
Zu den Ausnahmen gehört etwa der Masterstudiengang „Politisch-Historische Studien“ an der Uni Bonn, wo kollektive Abschlussarbeiten nicht erlaubt sind. An der größten deutschsprachigen Universität, der Uni Wien, sind Masterarbeiten als Gruppenarbeiten zwar zugelassen, dennoch behalten sich einzelne Studienprogrammleitungen die endgültige Entscheidungshoheit vor. Und an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich obliegt es dem Dozenten, eine kollektive Masterarbeit zu genehmigen.
Trotz der relativ klaren Rechtslage ist das Interesse seitens der Studierenden an kollektiven Abschlussarbeiten weiterhin gering. Bei 1300 abgeschlossenen Masterarbeiten im Jahr 2015 wurden lediglich 30 in Teamarbeit verfasst.
Laut den Zahlen der Uni Bielefeld entscheiden sich gerade mal zwei Prozent der Masterstudierenden für eine Gruppenarbeit!
Dabei befürworten Experten wie Martina Hielscher-Fastabend, Professorin und Studiengangleiterin für Klinische Linguistik an der Universität Bielefeld, eine solche Form der Abschlussarbeit. Denn kooperatives Lernen und Arbeiten ist wertvoll und bereitet für die berufliche Praxis vor.
Für den Erfolg einer kooperativen Masterarbeit sind zwei, manchmal sogar drei Personen verantwortlich. Werden die gegenseitigen Erwartungen erfüllt? Oder kommt es zu Unstimmigkeiten und Streit, die im schlimmsten Fall zur Beendigung der Zusammenarbeit führen? Teilen alle Beteiligten vergleichbare Vorstellungen über die Thesis? Haben alle Beteiligten das gleiche Ziel? Arbeiten die Gruppenmitglieder im gleichen Tempo? Zu bedenken ist zudem, dass persönliche Schicksalsschläge eines Partners den Fortlauf des gesamten Projekts gefährden können.
Der Tatsache geschuldet, dass an der Abschlussarbeit mehrere Kommilitonen beteiligt sind, kann ihr ein inhaltlicher Zerfall drohen: Mit anderen Worten, der rote Faden ist nicht zu erkennen. Die einzelnen Kapitel werden zu wenig aufeinander abgestimmt und eine generelle Argumentationslinie fehlt. In solchen Fällen bedarf es einer umfangreichen Textredaktion, mit der viele Studierende dann zum ersten Mal konfrontiert werden.
Prof. Heinke Röbken und Marcel Schütz, die im Bereich des Bildungsmanagements an der Uni Oldenburg forschen, sehen gleich mehrere Risiken und legen nahe, folgende Fragen und Aspekte gleich zu Beginn einer Kooperation zu problematisieren:
Vertrauen die Gruppenmitglieder einander ausreichend? Möchten sie einen vergleichbaren Arbeitseinsatz leisten? Wie sehen die gegenseitigen Erwartungen aus?
Fehler werden in der Regel nur selten angesprochen, um eine persönliche Auseinandersetzung oder gar Eskalation zu verhindern.
Deutliche Leistungsunterschiede führen ebenso zu Konflikten wie Konkurrenzbefindlichkeiten.
Funktioniert die Zusammenarbeit nicht, sind die Kommilitonen nur selten bereit, darüber zu sprechen.
Röbken und Schütz empfehlen, die Arbeitsanteile und -aufgaben deutlich zu bestimmen und abzugrenzen. Damit wird nicht nur die Gefahr von inhaltlichen Wiederholungen geringer, es entsteht eine überprüfbare Grundlage der eigenen Leistung.
Für alle, die die Absicht haben, eine kollektive Masterarbeit zu verfassen, hat Marco Althaus noch einen abschließenden Rat:
Das Thema der Thesis genau bestimmen, die Kooperation gut planen und den Betreuer über die Zusammenarbeit informieren, aber die Themen getrennt anmelden. Auf diese Weise werden die Zuständigkeiten klar getrennt, und die Verantwortung liegt gleichermaßen bei jedem Beteiligten.
FOLGENDE BEITRÄGE SOLLTEN AUCH FÜR SIE WICHTIG SEIN!